Die Sache mit der Selbstaufopferung in der Beratung

 

Beratern, besonders Unternehmensberatern, wird ja gerne nachgesagt, dass sie Workaholics sind oder eine unausgeglichene Work-Life-Balance haben.
Und ja, leider ist es so, dass die Arbeit beim Kunden, der eigene Karrierewille oder wenn man angestellt ist auch der Druck von oben manchmal zur Selbstaufopferung in der Beratung führen.
Ich persönlich glaube, dass Selbstaufopferung nie eine gute Sache ist, ganz besonders nicht im beruflichen Umfeld. Aber das mag jeder anders sehen. Und sicher definiert auch jeder die Grenze für Selbstaufopferung an anderer Stelle.

Unabhängig davon, dass man vielleicht wirklich der Typ Mensch ist, der gerne und viel arbeitet. Oder der sich in Arbeit stürzt, um sich von privaten Problemen abzulenken. Oder der zügig Karriere machen möchte, um möglichst schnell Geld zu verdienen und sich den Traum vom Porsche erfüllen zu können. Unabhängig von all dem, gibt es meiner Meinung nach einen Grund, der auf keinen Fall zur Selbstaufopferung in der Beratung führen sollte:

der Gedanke, dass man dies dem Kunden zuliebe machen muss.

Warum ich das (heute) so sehe? Weil ich am Anfang meines Berufslebens als Berater selbst in diese „Falle“ getappt bin und vor lauter falsch verstandenem Dienstleister-Gedanken und „ich-bin-neu-hier-und-muss-irgendwas-beweisen“-Zweifeln angefangen habe, mich für den Kunden selbst aufzuopfern.

Selbstaufopferung in der Beratung und Undank ist der Welten Lohn

Es war im ersten Jahr meiner Tätigkeit als Social Collaboration Consultant. Ich war entsprechend noch etwas verunsichert und dachte ganz klassisch, dass der Kunde König ist und ich alles für ihn tun muss, dass ich mich quasi aufopfern muss. Der Kunde war ein schwieriger Konzern, in dem sich auch die einzelnen Teilkonzerne nicht einig waren, nicht alle an einem Strang zogen sowie die Verantwortlichkeiten nicht klar definiert waren (was man übrigens bei den meisten Konzernen leider so antrifft ?).

Ich tat also alles, was ich konnte und agierte nach dem klassischen Dienstleister-Prinzip (zumindest so wie ich dieses damals verstand und für mich interpretierte) und opferte mich sozusagen für den Kunden auf. Ich habe abends um 20 Uhr mit dem Kunden telefoniert oder auch Samstags, während ich im Supermarkt meine Wochenendeinkäufe erledigte. Der Kunde hat angerufen und Folien gebraucht – ich bin sofort gesprungen und hab sie für ihn erstellt. Ich dachte, meine Kundenorientierung ist großartig und dass dieser Kunde nur glücklich sein kann, mit dem was ich alles für ihn tue. Unabhängig davon, dass auch die inhaltliche Arbeit gut war.

Nach einigen Wochen kam der Punkt, an dem der Kunde die von mir und meinen Kollegen geleisteten Stunden unterschreiben musste, um diese für die erste Abrechnung freizugeben. Und er weigerte sich zu unterschreiben mit der Begründung: die Beratung sie schlecht gewesen und er sei mit den Leistungen nicht zufrieden. Das war für mich natürlich wie ein Schlag ins Gesicht! Ich hatte doch soviel geleistet und alles getan, was der Kunde wollte – zu jeder Tag- und Nachtzeit! Und dann war er nicht zufrieden?!?

Nach dem ersten Schock wurde mir relativ schnell klar, dass der Kunde einfach nur nicht zufrieden war, weil er mit dem Thema nicht voran kam und vor allem nicht die Ergebnisse erzielte, die er gern erzielt hätte. Und dies lag auch nicht an uns oder mir, sondern an den internen Streitigkeiten beim Kunden selbst. Darüber hinaus hatte ich versucht, neutral zu bleiben und mich nicht in die internen Streitigkeiten mit reinziehen zu lassen (obwohl mich die jeweiligen Gruppen immer angerufen haben und versucht haben, mich auf ihre Seite zu ziehen). Sicher hat das der Person, die letztlich für das Budget zuständig war und die Unterschrift leisten musste, auch nicht gefallen.

Meine Learnings aus der Selbstaufopferung in der Beratung:

  • #1: Undank ist der Welten Lohn und Selbstaufopferung in der Beratung lohnt sich einfach nicht. Besonders nicht Selbstaufopferung für den Kunden, da er die Selbstaufopferung auch gar nicht wahrnimmt oder als solche empfindet.
  • #2: Egal was man leistet, wie gut man berät, wie viel Freizeit man opfert, wie schön die Folien sind, die man erstellt: wenn die Probleme beim Kunden intern zu groß sind oder anders gelagert sind, nutzt alle Selbstaufopferung in der Beratung nichts, weil man den Kunden in dem Moment gar nicht beraten kann.
  • #3: Mein letztes Learning mag auf den ersten Blick nicht so augenscheinlich sein, aber war für mich fast das wichtigste Learning: es bringt überhaupt nichts, wenn ich mich verstelle und nicht authentisch bin. Ich persönlich bin eigentlich grundsätzlich nicht der Typ, der sich total aufopfert und alles für andere tut. Ich bin auch nicht der Typ, der nicht seine Meinung sagt, um ja nicht anzuecken und niemand vor den Kopf zu stoßen. Im Gegenteil. Ich glaube dran, dass man in den meisten Fällen weiter kommt, wenn man ehrlich ist und vor allem wenn man authentisch ist und nicht versucht jemand zu sein, der man nicht ist. Damals habe ich mich das nicht getraut, weil ich ein bestimmtes Bild davon im Kopf hatte, wie ein Berater zu sein hat. Aber ich glaube bis heute, dass die Geschichte ein besseres Ende genommen hätte, wenn ich mehr ich selbst gewesen wäre.

Was sind deine Erfahrungen mit der Work-Life-Balance und der Selbstaufopferung in der Beratung? Bist du dagegen resistent oder tust du auch viel (zuviel?) mehr für den Kunden, als Du müsstest? Oder gehört das für Dich nach wie vor zum guten Ton als Unternehmensberater?

Ich freue mich auf Deine Kommentare und Anregungen!

1 Kommentar

  1. Veröffentlich von Jens am 17. September 2015 um 19:09

    Hallo Jenny,
    also da gebe ich dir völlig Recht. Sich für andere im Beruf aufopfern bringt rein gar nichts. Auch ich kenne das in meinem Beruf, der ja ein Dienstleistungsberuf ist. Klar sollte man dem Kunden das Gefühl geben der König zu sein und immer auch ein offenes Ohr haben, doch sollte man auch an sich denken und klare Regeln haben. Das heißt auch, das man sich zum Beispiel eine Feierabendzeit festlegen sollte und an der auch konsequent festhalten. Was heut nicht ist, das ist eben auch nicht heut. Verstell dich nicht und lebe so wie es für dich genau richtig ist. Genau nach dem Motto: “ be authentic“.
    Schließlich dankt es dir am ende niemand, ja vielleicht schlimmer, wenn Du dann mit 40 einen Infarkt erleidest und ablebst, steht die Frage im Raum: „War es das Wert?“
    Als Fazit kann ich dir sagen, sei Du selbst und verbiege dich nicht für andere, die sich auch für dich nicht verbiegen werden und Du lebst leichter und auch Dein Körper wird es dir danken.

    Gruß Jens