Mit Technik und Design allein ist es nicht getan – Tanja Puls über die Bedeutung von Beratung im Webumfeld

 

Viele Freelancer und Selbständige aus dem „kreativen Bereich” (so wie ich ihn gern nenne) würden sich selbst niemals als Berater oder gar Consultant bezeichnen. Sondern sie sind Webdesigner, Softwareentwickler, IT-Dienstleister oder wählen eine andere berufliche Bezeichnung, die dem entspricht was sie tun und können. Dabei wird der Beratungsanteil, den diese gegenüber dem Kunden, insbesondere Geschäftskunden, erbringen häufig völlig außer Acht gelassen. Tanja Puls von onlinepuls hat mit mir über genau dieses Thema gesprochen: die Bedeutung von Beratung und den zugehörigen Beratungsfähigkeiten für die Erbringung kreativer Dienstleistungen.

 

Du und dein Mann, ihr seid schon seit vielen Jahren selbständig und bietet mit eurer Agentur onlinepuls hauptsächlich Dienstleistungen im Bereich E-Commerce an, z.B. entwerft und erstellt ihr für eure Kunden Onlineshops. Ist das nun ein klassisches Kreativbusiness oder seht ihr euch selbst eher als IT-Dienstleister?

Wir sind bereits seit 1995 in der Internetbranche tätig, selbständig seit 2002. Studiert haben wir beide technische Informatik – demnach war der Ursprung unseres Tuns schon sehr auf die Technik bezogen und wir waren 2002 tatsächlich der klassische IT-Dienstleister mit großem Fokus auf den technischen Möglichkeiten des Internets und somit Full-Service-Dienstleister. Wobei wir aber schon immer zu den sehr designaffinen Technikern gehörten.

2005 haben wir dann an einer Studie mitgeschrieben, bei der wir uns intensiv mit dem Thema „Barrierefreie Webseiten“ auseinandergesetzt haben. Weil gerade mir dieses Thema sehr am Herzen liegt, ist daraus eine Umorientierung entstanden, und wir haben uns intensiv mit Usability / Joy of Use auseinandergesetzt. D.h. ich habe mich verstärkt um die Konzeption gekümmert, den Websitenutzer und seine Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt, intuitiv bedienbare Navigationskonzepte entwickelt, etc.

In diesem Fokus sind dann der Beratungsaufwand und die kreative Leistung immer größer geworden. Wir haben uns immer mehr auf diesen Bereich fokussiert mit dem Ziel von jedem Unternehmen die Einzigartigkeit ins Internet zu übertragen. Man kann also sagen, dass wir als IT-Dienstleister gestartet sind, und uns immer mehr in Richtung Kreativ-Business entwickeln. Unser großer Vorteil ist, dass wir aufgrund unserer Historie und der Erfahrung auch noch eine hohe Beratungskompetenz mitbringen.

 

Klassischerweise würde man euch nicht unbedingt als ein „beratendes Business“ bezeichnen. Und doch beratet ihr in euren Projekten mal mehr und mal weniger eure Kunden…

Ja. Im Nachhinein gesehen lag schon zu der Zeit, über die ich gerade gesprochen habe, unser Schwerpunkt auf der Beratung und Strategieentwicklung, nur wurden wir nie dafür bezahlt und vor allem nie für diese Beratungskompetenz wertgeschätzt.

Vom Arbeitsablauf her mussten wir uns bei jedem Projekt zunächst mit dem Ist-Zustand auseinandersetzen, um dann im zweiten Schritt Fragen wie die Werte des Unternehmens, seine Zielgruppen, seine Mitbewerber, seine Ziele, etc. zu durchleuchten. Passt das Corporate Design noch zu der Message, die transportiert werden soll, gibt es eine Hausschrift, wie sieht die Bildsprache aus, etc.

Vielen Kunden waren all diese Fragen zu anstrengend, weil es ja bedeutete, dass sie sich intensiv mit sich und ihrem Unternehmen auseinandersetzen mussten. Also wurde lieber darauf verzichtet. Bei den Kunden, bei denen die Beratung bzw. Strategie-Entwicklung jedoch akzeptiert wurde, sind für das Internet gesprochen sehr langlebige Projekte entstanden, die auch noch nach 9 Jahren fast unverändert im Netz zu finden sind. Während andere Agenturen alle 2 Jahre einen Relaunch durchführen.

 

Wenn Du so auf Eure Projekte schaust, wie hoch ist dann durchschnittlich der Beratungsanteil?

Der Beratungsanteil bei einem optimalen Projekt würde bei 30-40 % liegen. Das ist sicherlich auch abhängig von dem Kenntnisstand des Kunden. In den vergangenen Projekten lag dieser jedoch höchstens bei 10%, die der Kunde bereit war zu akzeptieren.

Da der Beratungs- und Strategieaufwand bei unseren Projekten mittlerweile sehr stark angestiegen ist und uns auch sehr wichtig geworden ist, da er die Grundlage unserer Arbeit abbildet, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass wir uns deshalb komplett neu positionieren müssen. In diesem Prozess befinden wir uns gerade.

 

Hättest du diesen Beratungsanteil lieber höher oder niedriger? Und warum?

Ich hätte diesen Bereich gerne höher.
Da sich das Internet und insbesondere die Positionierung von Onlineshops in den letzten Jahren stark verändert hat, ist es nicht damit getan der Technik und dem Design ein Update zu verpassen. Um neben Amazon bestehen zu können, müssen die Shop-Betreiber Ihre Nische finden und mit einer klaren Positionierung auf den Markt gehen.

Dieses Bewusstsein ist jedoch bei ganz vielen Shop-Betreibern noch nicht angekommen, insbesondere, wenn Sie bereits seit 10 Jahren einen Onlineshop betreiben, der ihrer Meinung nach ganz gut läuft. Sie sind in der Regel mit den Möglichkeiten des Internets nicht mitgewachsen, wissen nicht um die Möglichkeiten von Social Media und anderen Marketing-Kanälen, betreiben immer noch das gleiche Marketing wie vor 10 Jahren und wundern sich, dass die Umsätze ausbleiben.

Diese Kunden müssten eigentlich intensiv beraten werden, sehen aber in der Regel nur das Budgetargument und haben kein Verständnis dafür, dass sich durch die neu entstandene Komplexität des Internets (z. B. Social Media, Responsive Webdesign, klare Positionierung, neue Zahlweisen, Integration von Warenwirtschaftssystemen, etc.) die Anforderungen an das Projekt extrem verändert haben.

Das Verständnis was es heutzutage braucht um einen erfolgreichen Onlineshop aufzubauen, ist oft nicht vorhanden. Es ist mittlerweile nicht mehr erfolgsversprechend den 10.000 Onlineshop für Geschenke oder Wohn-Accessoires zu starten. Die großen Player sind einfach zu stark und mit Amazon zu konkurrieren ist der absolut falsche Ansatz. Da muss schon ein spezielles Shop Konzept her um am Markt bestehen zu können.

 

Woran liegt es deiner Meinung nach noch, dass der Beratungsanteil nicht so hoch ist bzw. die angebotene Beratungsleistung nicht wertgeschätzt wird?

Auch wenn man mit den eben genannten Entwicklungen argumentiert, sind die etablierten Shop-Betreiber bis heute oft nicht bereit in eine Analyse bzw. Beratung und Strategieentwicklung zu investieren, da Sie ja „nur“ einen Relaunch benötigen.

Darüber hinaus denke ich, dass ein sehr großer Anteil der Nichtakzeptanz der Beratungsleistung darin liegt, dass man als Shop-Betreiber bei Diensten wie 1&1, Strato, eBay, etc. für sehr wenig Geld mit Baukästen bereits Onlineshops zusammenklicken kann. Warum soll der Shop-Betreiber dann für einen professionellen Onlineshop > 25.000 EUR investieren?

Hinzu kommt, dass sich viele Kunden durch eine Beratung „belehrt“ fühlen und diese deshalb ablehnen.

 

Welche Rolle spielt deiner Meinung nach eine kompetente Beratung der Kunden in eurem Bereich? Wie hoch ist die Bedeutung von Beratung?

Wenn es wirklich darum geht ein erfolgreiches Shop-Projekt auf die Beine zu stellen, ist eine kompetente Beratung für mich essentiell.

Es müssen extrem viele Bereiche bedacht werden um heute noch mit einem Onlineshop erfolgreich zu sein. Meiner Meinung nach sind sehr viele Kunden mit dieser Komplexität komplett überfordert.

Die technischen Anforderungen sind extrem hoch, wenn es darum geht das Shop-System an Marktplätze, Kassensysteme oder eine Warenwirtschaft anzusteuern. Welche Zahlweisen sind die für meine Zielgruppen passendsten, welche Inhalte erwartet meine Zielgruppe, wie locke ich meine Zielgruppe in meinen Onlineshop, in welcher Nische möchte ich mich positionieren, wie sieht eine konkurrenzfähige Preisstruktur aus, warum soll der Kunden bei mir kaufen und nicht bei der Konkurrenz, welche Funktionalitäten sollten integriert werden, wie gestalte ich das gesamte Marketing, wie sieht eine optimale Navigationsführung aus, für welche Keywords soll der Shop optimiert werden, wie schaffe ich es bei Google gefunden zu werden – am besten auf Seite 1, usw. usw.

Es gibt viele Freelancer und kleinere Agenturen, die diesen hohen Beratungsansatz aufgrund mangelnder Erfahrung und Wissen nicht abdecken können. Von diesen Dienstleistern werden dann für einen wesentlich geringeren Preis die typischen Relaunches angeboten: neues Design, neue Technik und fertig.

Das ist meiner Meinung jedoch am falschen Ende gespart. Spätestens nach 2 Jahren kommt dann der nächste Relaunch, weil komischerweise die Verkäufe durch den neuen Look nicht gestiegen sind. Worst-Case muss der Onlineshop wegen Unwirtschaftlichkeit geschlossen werden.

Der klassische Freiberufler, nehmen wir mal den Grafiker, wird in der Regel ein sehr geringes Wissen zu technischen Fragen, der Suchmaschinen-Optimierung und der Positionierung eines Unternehmens am Markt haben. Von daher kann sich seine Beratung dann auch nur auf sein Spezialgebiet beziehen. Für den Kunden ist das in einem Gesamtprojekt aber oft nicht zufriedenstellend.

 

Wäre es dann in solchen Fällen eher denkbar, sich schlanker und smarter aufzustellen, und genau diese Beratungsleistung an jemand anderen auszulagern und sozusagen im Team zu agieren?

Grundsätzlich finde ich bei komplexen Projekten, zu denen ich die Erstellung von Webseiten und Onlineshops mittlerweile zähle, den Ansatz eines großen Netzwerkes sehr gut. Jeder soll das machen, was er oder sie am besten kann. Die Beratung kann dann aus den einzelnen Fachbereichen erfolgen, oder was die optimale Variante ist von einem direkten Ansprechpartner, der über alle Bereiche gut Bescheid weiß und in der Lage ist, den Kunden zufriedenstellend zu beraten.

Auf der anderen Seite denke ich, wenn der Kunde wirklich den Wunsch hat beraten zu werden, wird er sich ein Unternehmen suchen, dass genau darauf spezialisiert ist, was in der Regel der klassische Unternehmensberater ist. Dieser ist meiner Meinung nach aber oft mit der Komplexität der unterschiedlichen Business-Modelle überfordert.

Mit dieser Erkenntnis haben wir deshalb auch schon öfter darüber nachgedacht, ob es in unserem Fall Sinn machen würde Kooperationen mit den klassischen Unternehmensberatungen zu schließen.

 

Wenn Du auf Deine langjährige Erfahrung zurückblickst, ist dann die Beratungsresistenz der Kunden tatsächlich eines der größten Probleme, mit denen man zu kämpfen hat? Und hast du irgendwelche Tipps, wie man dem am besten beikommt?

Das größte Problem das wir in den letzten Monaten lokalisiert haben ist, eher der Fakt, dass alteingesessene Unternehmen nicht mit den Möglichkeiten des Internets mitgewachsen sind und extrem festgefahren und unflexibel sind. Es ist sehr schwierig diese festen Strukturen mit dem extrem flexiblen und vor allem schnelllebigen Internet zu verbinden. Sehr oft ist auch eine Ablehnung gegenüber dem Internet zu spüren.

Wir hatten Kundentermine, da wurden die Briefe noch auf der klassischen Schreibmaschine – immerhin elektronisch – geschrieben und nicht mit dem PC. Ich denke so etwas ist – so traurig ich es finde – keine Seltenheit. Wenn du dann bei solchen Unternehmen sitzt, und im Endeffekt erkennst, dass diese sich technisch gesehen in der Steinzeit befinden, ist ziemlich schnell klar, dass eine hohe Beratungsresistenz vorhanden ist. Da musst du wirklich ganz am Anfang anfangen – was fast unmöglich ist.

Auch haben wir festgestellt, dass viele dieser Unternehmen weiterhin für Printmaterialien 5-stellige oder sogar größere Budgets freigeben, für eine Webseite jedoch keine Bereitschaft da ist Geld in die Hand zu nehmen.

 

Ich persönlich habe ja während meiner Angestellten-Karriere die Erfahrung gemacht, dass einige Berater und Freelancer ziemlich unvorbereitet auf ihre Kunden losgehen. Wie schätzt Du die Bedeutung dessen ein, seine Beratungstätigkeit im Vorfeld genau zu definieren, d.h. sich die Bereiche zu überlegen in denen man beraten kann und möchte, sich eine Beratungskonzeption oder -philosophie sowie ein einigermaßen ausdefiniertes Vorgehen zurecht zu legen, um einen roten Faden zu haben?

Wenn man wirklich professionell an die Beratung des Kunden rangeht, sehe ich es als sehr wichtig an, sich intensiv darauf vorzubereiten. In unserer Branche muss man immer am Ball bleiben, wissen was die aktuell am meisten akzeptierten Zahlweisen sind, welche neuen Geschäftsmodelle es in den unterschiedlichen Branchen gibt, was sich auf dem Markt der Warenwirtschaftssysteme tut, welche Shopsysteme es gibt, und wo deren Stärken und Schwächen liegen, was getan werden muss um bei Google gut gefunden zu werden, was sind die aktuellen Designtrends, etc.

An der Qualität der Projekte anderer Agenturen ist oft schon zu erkennen, dass diese sich nur mit Teilbereichen gut auskennen und aufgrund mangelnder Fachkompetenz über alle Bereiche gar keine kompetente Beratung stattfinden kann. Oft ist es einfach so, dass es entweder Programmierer oder Designer sind, die diese Projekte umsetzen und diese selten über den Tellerrand hinausschauen und sich kaum Gedanken über eine Beratung und deren professionelle Umsetzung gemacht haben.

 

Welchen Tipp würdest du jemandem, der heute anfängt sich als Kreativer oder IT-Dienstleister selbständig zu machen, im Hinblick auf die Beratung um die Dienstleistung rum, geben?

Das kommt ganz darauf an, in welchem Bereich sich jemand selbständig macht und welche Fachkompetenz er bzw. sie besitzt. Grundsätzlich bin ich jedoch der Meinung das Full-Service kaum noch zu leisten ist, es sei denn man baut sich ein großes Netzwerk auf, um all den Anforderungen gerecht zu werden.

Sicherlich wird es weiterhin Kreative geben, die versuchen Full-Service anzubieten, das kann jedoch bestenfalls bei kleinen Unternehmen oder Einzelkämpfern funktionieren, die keine großen Budgets zur Verfügung haben und auch keine großen Ansprüche haben. Denn eine Suchmaschinen-Optimierung durch einen Grafiker hat eine ganz andere Qualität, als wenn man hier zu einem spezialisierten Dienstleister geht, der den ganzen Tag nichts Anderes macht.

Selbst mit unserer langjährigen Erfahrung haben wir uns jetzt gegen den Full-Service entschieden und werden uns zukünftig spezialisieren. Die Anforderungen sind einfach zu komplex geworden. Bei kleinen Projekten kann man sicherlich in einem gewissen Rahmen auch als Kreativer eine Beratung anbieten. Je größer die Projekte jedoch sind, desto mehr Fachkompetenz muss vorhanden sein, um den Kunden qualitativ zu beraten.


Was meinst Du dazu? Wie wichtig ist Beratung im Webumfeld und für Deine Kunden?

Lass es mich in den Kommentaren wissen!